Die Headline sollte eigentlich lauten: „10 Dinge, die Ausländerkinder in den Wahnsinn treibt.“ Aber das liest sich für eine Headline etwas zu proletoid, als habe ich mich lieber für einen Titel entschieden, der etwas zu lang, aber dafür schön classy ist.

Das mit der Klasse ist mir nämlich von meinen Eltern so richtig fest eingebläut worden. Schließlich waren sie stets darauf bedacht, dass wir selbstbewusst, aber stilvoll durchs Leben treten. Und das alles möglichst ohne unangenehm aufzufallen.
Naja … zumindest haben wir jetzt alle ein gesundes Selbstbewusstsein.

Anyway, befassen wir uns doch kurz mit unseren Oldies, die vor Jahrzehnten nach Österreich gekommen sind, um uns ein besseres Leben zu ermöglichen. Den Immigranten, die beschissene Jobs gemacht haben, damit aus uns etwas wird. Die Superhelden, die teilweise Gastarbeiter waren, die deutsche Sprache bis heute nicht tadellos beherrschen und trotzdem etwas erreicht haben. Die Mamas und Papas, denen wir bis an’s Ende unserer Tage danken müssen, weil wir ohne sie wahrscheinlich in ganz anderen Umständen leben müssen. Genau die selben, die uns allerdings auch gerne in den absolut nackten Wahnsinn treiben, mit Aktionen, die gefühlsmäßig meistens nur von „Ausländer-Eltern“ kommen.

Ihr wisst, was ich meine, oder?! Wenn nicht, lasst mich euch kurz auf die Sprünge helfen:

1. „Ich bin nicht extra aus [hier Herkunftsland einfügen] hergekommen, damit du mir das antust!“

Ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Mutter die unangefochtene Königin der emotionalen Erpressung ist. Schlechte Noten, schlechte Boyfriends, schlechte Lebensentscheidungen (wie etwa sich beim Rauchen erwischen zu lassen) oder nuttige Outfits, wurden bei uns zu Hause mit Sätzen, wie „Ich bin nicht den ganzen Weg von Nigeria nach Österreich gekommen, damit du mich so enttäuschst!“ oder „Womit habe ich das verdient?“ manchmal reichte auch ein dezentes „War ich dir keine gute Mutter? Habe ich etwas falsch gemacht, weil du mir das antust?“ kommentiert. Was wiederum dazu geführt hat, dass ich wirklich kurz in Frage gestellt habe, ob ich nicht vielleicht doch der schlechteste Mensch der Welt bin. Aber wirklich nur kurz.All das wurde wurde relativ schnell mit der Erkenntnis in Luft aufgelöst, dass meine Mutter slightly dramatisch ist.

 

 

2. Die Enttäuschung

Für kein Geld dieser Welt hätte ich es vor ihr zugegeben. Niemals. Never ever. Aber tief drinnen wusste ich es ganz genau. Sie hatte recht. Ausnahmslos.

Im Gegensatz zu uns haben unsere Eltern ihre Kinder in einem Kulturkreis großgezogen, der wenig mit ihrem gewohnten zu tun hat. Sie haben Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um uns ein möglichst entspannten Leben zu ermöglichen und das unter Umständen in denen wir schon längst w.o. gegeben hätten. Und dann schaffen wir es nicht einmal ein Zeugnis ohne Fünfer nach Hause zu bringen, die Raucherei besser zu verheimlich und generell etwas mehr Ehrgeiz an den Tag zu legen. Really?!

 

 

3. Die Berufswahl

Meine Eltern hatten zeitweise wirklich Schwierigkeiten zu verkraften, dass sie vier Kinder haben und tatsächlich keines der vier Anwälte, Ingenieure oder Ärzte geworden sind. Uns standen ja alle Türen offen, warum haben wir uns nicht erbarmen können. Musste ich mich wirklich dazu entscheiden etwas mit Medien zu machen?! Vor allem nachdem ich schon mit dem Jus-Studium angefangen habe. I was almost there.
Wir haben es hier übrigens mit einer klassischen „Ich bin nicht den ganzen Weg aus Afrika hier her gekommen, damit du … „ – Situationen.

Nachdem ich ihnen aber regelmäßig gezeigt habe, dass mein Name unter Geschichten in Magazinen steht, waren sie schon etwas beruhigt.
Mein Vater hat allerdings bis an’s Ende seiner Tage immer noch nicht verstanden, was das mit dem Bloggen soll. Er fand die Fotos dafür immer toll. Immerhin …

 

 

4. Die Telefonkarten

Diese gottverdammten Telefonkarten mit denen man für 5 Euro 90 Minuten nach Übersee telefonieren konnte und die man entweder extra für die Mama holen musste oder sie von unterwegs mitnehmen musste.
Warum schreib ich hier eigentlich in der Vergangenheit? Das muss ich heute noch machen und dann ist es wichtig, darauf zu achten, dass es die „richtige“ Karte ist. Das wechselte allerdings alle paar Wochen mal, weil die „Freiminuten“ mit der Zeit immer weniger und weniger werden. Das ist natürlich fatal, weil meine Mutter ja mit den tausend Verwandten sprechen musst, die ich teilweise nicht kenne…

 

 

5. … aber mit denen ich trotzdem telefonieren muss

Wenn meine Mutter mit irgendwem in Nigeria telefoniert, ist es Zeit den Raum zu verlassen. Es sei denn man ist scharf darauf mit einer „Tante“ von dessen Existenz man bis dato nichts wusste, zu sprechen. Es gibt nichts mühsameres als diese höchst verkrampften „Hello Aunty no, I’m not Rita, I’m Christiana, … the second one … no, I’m sorry, I can’t remember … I was a baby … yes, I’m taking care of mommy … yes, I have a boyfriend … well, yes he’s white … yes, he’s treating me well … no, there’s no wedding planned … yes, we live together … okay … I will pray to the lord for forgiveness, because I live in sinn with him … yes … God bless you too Aunty. Yes, yes, yes. I’m happy to give Mama the phone back! Yes, thank you. Bye“ – Gespräche zu führen?!

Ich glaube nicht! Aber das ist meiner Mutter vollkommen egal. Wer neben ihr sitzen bleibt während sie telefoniert, hat es nicht anders verdient, als in diese Situation zu kommen. Denn sie wird es tun, sie wird sich während des Telefonats mit Tante XY zu dir drehen und fragen, ob du nicht „Hallo“ sagen magst. Und sie wird es so laut tun, dass Tante XY es hören kann und du nicht drum herum kommst.

Scheiß Telefonkarten!

 

 

6. Der Inländer-Boyfriend

Ich werde nie vergessen wie meine Mutter reagiert hat, als ich ihr erstmals offenbart habe, dass Mr.Clear weiß ist. Sie hat mir aller Kraft versucht souverän zu bleiben, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie sich am allerliebsten einen nigerianischen Anwalt für mich gewünscht hätte. Statt einem Typen, der so gar nichts von der afrikanischen Kultur weiß und auch „irgendwas mit Medien“ macht.
Ein kurzer Reminder, dass dieser Mann früher oder später potenzielle Enkelkinder mit sich bringen könnte und alle Sorgen waren wie verflogen.

Sie ist drüber hinweg gekommen. So wie ich das erste große Familienessen – wieder Erwarten – überlebt habe.

Mittlerweile sind Mama und Markus so dicke, dass sie mich manchmal vergessen, sie mit ihm Yoruba spricht, weil sie vergisst, dass er noch nicht so lange Teil des Clans ist und sich auch manchmal bei ihm bedankt, dass er mit mir zusammen ist.

 


 

7. Der Name

Zeit meines Lebens wollte ich nie eine andere Hautfarbe haben. Ich fand’s immer schon cool schwarz zu sein und habe lange nicht gecheckt, dass mich viele Menschen scheiße behandelt haben, weil ich dunkler bin als sie.

Aber wenn ich etwas wirklich dringend ändern wollte, dann meinen Namen. Ich wollte unbedingt Huber, Maier, Schneider, Hofer oder Bäcker heißen. Das war so herrlich „normal“ und musste nicht buchstabiert werden. Versteht ihr?!
An Tagen an denen ich meinen 10stelligen Nachnamen zum dritten Mal buchstabieren muss und mich jemand fragt, ob das „türkisch“ oder „asiatisch“ ist und sich dann erst verschreibt, wünsche ich mir manchmal immer noch einen etwas simpleren Familiennamen.

Clear ist übrigens nicht mein echter Nachname … hätten wir das auch gleich klar gestellt.

 


 

8. Der Schock wie andere Kinder mit ihren Eltern umgehen

Der Tag an dem ich jemals vor meinen Eltern geraucht hätte, wäre der Tag gewesen an dem die Hölle zugefroren wäre. Niemals! Niiiiiemals hätte ich es gewagt vor meinen Eltern eine Zigarette in den Mund zu nehmen und anzuzünden.

Umso schockierter war ich, wenn ich gesehen habe, wie andere Kinder das getan haben – ohne mit dem Wimper zu zucken. Das war mir zu hoch. Mein Bruder ist 30 und würde nie vor meiner Mama rauchen. Never ever. Das geht nicht. Es geht einfach nicht!

Ich weiß es nicht genau, aber ich vermute meine Mutter hätte mich mit einem One-Way-Ticket direkt nach Nigeria geschickt, um wieder runter zu kommen und mich erst nach Jahren wieder geholt, wenn überhaupt.

Das war übrigens die #1 unter den Drohungen. „Keep on pushing your boundaries, if you want to go and live in that small village in Nigeria. The one your grandmother was born in. I’m not sure if they have electricity by now, but you’ll have plenty of time to think about the stupid things you’ve been doing!“

 


 

9. Auswärts schlafen war keine Option

Wozu auch? Ich hatte ja mein eigenes Bett, wieso sollte ich mir ein fremdes mit jemanden teilen wollen oder auf einer ausziehbaren Couch schlafen wollen? Sie ist ja nicht den ganzen Weg aus Afrika hier hergekommen, hat mit meinem Vater hart dafür gearbeitet, dass jeder von uns ein eigenes Bett hat, damit wir erst nicht darin schlafen. Dinge, die meine immigrierten Eltern nie verstanden haben.

Und wie ich erst letztens festgestellt habe, war ich nicht die einzige. „Mein bosnischerVater hat mich lieber um 3 Uhr in der Früh abgeholt, als mich woanders schlafen zu lassen! Ausländereltern wollten das einfach nicht.“ erklärt mir meine Freundin B.

So it’s a thing!

 


 

10. Die Gemeinsamkeiten

Mr.Clear hat keine ausländischen Wurzeln. Wenn ich mit ihm eine klassische Immigranten-Eltern-Situation teilen möchte, muss ich sie ihm lang und breit erklären und lache am Ende dann doch alleine darüber … wenn der Witz nicht schon bei der Erläuterung gestorben ist.

Umso mehr weiß ich die Gemeinsamkeiten zu schätzen, die es mit sich bringt, wenn man auf andere Kinder, der ersten Generation trifft. Die wissen wovon man redet. Kennen die Vor- und Nachteile und können über den Struggle lachen und weinen, der eine große Rolle spielt, wenn man mit zwei komplett verschiedenen Kulturen aufgewachsen ist.

 


 

Dieser Post ist also für euch, lovely Kids of the Diaspora. Unsere Eltern hatten Recht: Was uns nicht umbringt, macht uns nur härter. Und wenn wir zurück schauen, können wir heute über vieles lachen. Es war beim besten Willen nicht immer leicht das Ausländerkind zu sein. Das eine Kind zu sein, das „anders“ ausgeschaut hat. Deren Eltern Baklava zur Schulfeiern gemacht haben, wenn man einfach nur Weihnachtskekse mitbringen wollte. Deren Mamas und Papas manchmal auf die Deutschkenntnisse ihrer Kinder angewiesen waren, weil es nicht leicht ist eine neue Sprache zu lernen. Die vieles nicht machen durften, weil der andere kulturelle Hintergrund es einfach nicht erlaubt hat. Die wahrscheinlich bis an’s Ende ihrer Tage ihren (Nach-)Namen buchstabieren müssen, damit er erst recht falsch geschrieben wird.
I see you!

 

 

 

Foto: v.l.n.r.: Leni Charles, DJ Tinytus (aka. Selina Pertl), Christl Clear und Mr.Clear)
© Melanie Gomez